Die „Markt-Reifeprüfung“ eines Werbeplakats

Wirtschaft

Der verheißungsvolle Blick der maskierten Dame erzählt von märchenhaften venezianischen Nächten. Im Sommer 2015 lockte das farbenfrohe Werbeplakat die BesucherInnen zur Operette „Eine Nacht in Venedig“ zur Seebühne in Mörbisch.

Akronym

Marktreifeprüfung Werbeplakat

Projektlaufzeit

01/01/2014 - 31/12/2015

Wie wählt man eigentlich als Marketing-Manager aus den Vorschlägen der Agentur das „beste“ Plakat aus? Einen Blick hinter die Kulissen gewährt Projektleiterin Claudia Kummer aus dem Department Wirtschaft.


Interview mit FH-Marktforscherin Claudia Kummer

Frau Kummer, was hat die FH Burgenland mit der Operette am See zu tun?

Der Verein der Seefestspiele Mörbisch wollte den Werbeauftritt modernisieren und selbstsicherer auftreten – dabei aber nicht die langjährigen Stammkunden verunsichern. Es gab zwei Plakatentwürfe, einen traditionellen und einen „mutigen“. Die Frage war: Welches Plakat wird wohl unser neues Stück besser verkaufen? Unser Marketing-Forschungsteam an der FH Burgenland - Department Wirtschaft - hat mit wissenschaftlichen Methoden nach der Antwort gesucht.

Was muss denn ein Plakat „können“, um die Festspielbesucher zu überzeugen?

Erstens: Es muss Aufmerksamkeit anziehen. Stellen Sie sich vor: Ich fahre im Auto, neben der Straße eine Plakatwand – ich sehe sie im Augenwinkel. Schaue ich hin? Zweitens: Ich muss die Botschaft verstehen. Worum geht es? Um mir das zu erklären, hat das Plakat maximal zwei Sekunden Zeit, dann bin ich vorbeigefahren. Drittens: Die Gefühlsebene muss stimmen. Gefällt es mir? Hat es was fürs Herz? Diese drei Prüfungsfragen muss jedes Plakat positiv absolvieren, damit es auf unserem gesättigten Markt bestehen kann.

Wie haben Sie diese Fragen erforscht?

Werbewirkungsforschung ist komplex, deshalb haben wir uns für eine Kombination von zwei Methoden entschieden: eine quantitative Online-Befragung von 242 typischen Seefestspiel-Kunden, und eine Eye Tracking-Beobachtungsstudie mit 49 Studierenden der FH Burgenland. Beim Eye Tracking werden mittels Infrarotstrahlen und hochpräzisen Kameras die Blickbewegungen der Teilnehmer aufgezeichnet, und man kann Rückschlüsse auf die Betrachtungsdauer und die Blickverläufe ziehen.

Kann man mit Eye Tracking in die Köpfe und Herzen der Kunden schauen?

Ja und nein. Das Besondere daran ist: Die Blicke sind spontan und unterliegen keiner „Zensur“. Wenn 49 Personen durchwegs zuerst auf das Auge der Dame schauen, und dann erst auf das Plakat der Konkurrenz, dann weiß ich: die Aufmerksamkeit hab ich schon mal. Das Problem ist nur: Der Grund für diese Aufmerksamkeit kann, muss aber nicht positiv sein. Um das herauszufinden, haben wir anschließend Interviews geführt. Erst dann konnten wir sagen: Ja, da sind positive Gefühle im Spiel!

Bei Aufmerksamkeit und Gefühl hat das Plakat also positiv „bestanden“. Wie kam die Botschaft an?

Das war besonders spannend. Wir wissen aus der Marketing-Forschung, dass besonders attraktive oder erotische Bilder auch gefährlich für die Werbung sind – weil sie nämlich vom eigentlichen Produkt ablenken, also die Botschaft behindern. Vor diesem so genannten „Vampireffekt“ hatten wir ein bisschen Sorge. Den entscheidenden Hinweis lieferte der Eye Tracker: Obwohl das Auge der Frau die Blicke zuerst auf sich zog, verweilten die Testpersonen nur ein paar Sekundenbruchteile.

Was ist dann passiert?

Die Blicke haben sich abgewendet und noch während der ersten Sekunde klar auf den Titel der Operette „Eine Nacht in Venedig“, also das eigentliche Produkt, fokussiert. Somit wurde die Botschaft innerhalb der ersten zwei Sekunden wahrgenommen.

Also zum Glück kein „Vampireffekt“. Wie können Sie die guten Testergebnisse erklären?

Das Plakat mit der Dame hatte mehrere gestalterische Vorteile gegenüber dem Konkurrenz-Entwurf. Der Titel ist mittig platziert, vor der untergehenden Sonne, die ein natürlicher Anziehungspunkt für das Auge ist. Es kommen starke Kontraste zum Einsatz, schwarz auf gelb ist schnell erfassbar. Besonders effektvoll waren auch die kreisrund gerahmten, weiß unterlegten Spieltermine, die wurden vor allem ab der 5. Sekunde klar fokussiert.

Gab es auch Kritikpunkte an dem Plakat?

Das Logo der Seefestspiele wurde auf dem anderen, dem „traditionellen“ Plakat im Schnitt um eine Sekunde früher wahrgenommen. Weil das Logo aus viel Text besteht, entsteht eine Konkurrenz zum Operetten-Titel. Außerdem haben wir erkannt, dass der Footer (Anm.: die schwarze Leiste unten im Bild) mit den Kontaktdaten kaum oder sehr spät beachtet wird. Hier könnte man Informationen einsparen.

Was würden Sie einer Werbeagentur aufgrund Ihrer Forschungen empfehlen?

Die Volksweisheit hat sich bestätigt: Weniger ist mehr. Außerdem: eine klare visuelle Hierarchie schaffen, sodass der Blick klar gelenkt wird. Und: Mut zur Veränderung zahlt sich oft aus, aber diese birgt immer ein Risiko. Mit der Eye Tracking-Studie und der Online-Befragung konnten wir die Reaktion der KonsumentInnen im Vorhinein testen. Das hat die Seefestspiele auf dem Weg zum starken neuen Werbeauftritt bestärkt. Und wir können diese Erfahrung unseren Studierenden in der Lehre praktisch weitergeben.


Zum Weiterlesen

 


Literatur

Kummer, Claudia & Bäck, Evelyn (2014): Aufmerksame Blicke für die „Nacht in Venedig“. Mit Eye Tracking zur neuen Werbelinie, in: planung & analyse, Heft 6/2014, S.16-21

Kummer, Claudia & Semmler-Matosic, Tonka (2015): Eye Tracking für die Werbesujets der Seefestspiele Mörbisch – welches Design gewinnt Aufmerksamkeit? In: Proceedings zum Forschungsforum der österr. Fachhochschulen 2015, Hagenberg.

Kummer, Claudia (2015): Werbewirkungsforschung mittels Eye Tracking – die „Nacht in Venedig“ in Mörbisch, in: Hauptfeld-Göllner, Petra, Mayrhofer, Walter & Pehm, Georg (Hrsg.): Meinung im Mittelpunkt. Ausgewählte Beiträge zu Ergebnissen der Markt- und Meinungsforschung im Burgenland. Reihe Science Research Pannonia, Band 6, S. 31-44.